Literaturwettbewerb „9 x 9 – Alsergrund erlesen“
“Es war etwas Besonderes in seiner Art, etwas Fesselndes, sodass man sich dem Ausdruck seiner von buschig schwarzen Brauen gesäumten Augen nicht so leicht entziehen konnte.“
Ein warmer Freitagabend im August im Alten AKH: Menschen sitzen in Gruppen im Gras unter freiem Himmel; Gespräche, Entspannung und Musik liegen in der Luft. Doch letzten Freitag wurde das übliche Programm um eine besondere Veranstaltung des Alsergrunder Kultursommers erweitert: die finale Lesung des Literaturwettbewerbs „9 x 9 – Alsergrund erlesen“. Die 4-köpfige Jury, u.a. die neue Inhaberin der Buchhandlung List auf der Porzellangasse, hatte 9 Autor:innen ins Finale des Wettbewerbes geladen, um ihre Texte vor dem Publikum zu lesen – darunter Klimaaktivistin Lena Schilling und unser Aktivist Theo Löcker (verde-Schüler:innenvertretung) mit einem sehr persönlichen Text über seinen Zivildienst in der Wiener Obdachlosenhilfen.
Diesem berührenden Ausschnitt aus dem Alltag in der Obdachlosen-Betreuung steht diesen Sommer leider eine Reihe abscheulicher gewalttätiger Angriffe auf obdachlose Menschen gegenüber, bei denen eine Frau schwer verletzt und zwei Männer getötet wurden. „Genug erlebt… das hatten sie doch alle“ schreibt Theo Löcker. Genug erlebt, auch ohne die Sorge in der Nacht auf offener Straße ermordet zu werden. Die Angst vor Kälte, Hunger und Einsamkeit ist zutiefst menschlich, ist Teil von uns allen, genauso wie die Freude über die Begegnung mit anderen Menschen – ob man an einem Dezembertag für ein paar warme Stunden in die Obdachlosen-Betreuung kommt oder an einem Augustabend im Alten AKH das Finale eines Literaturwettbewerbes besucht.
„Schlendert nur, plaudert, freut euch sorglos des Lebens. Es kann so schnell gehen. Mit mir, euch, jedem.“
Heute freuen wir uns mit den Gewinnerinnen von „9 x 9 – Alsergrund erlesen“ 2023: Emma Breitenecker, Chiara Zimmermann und Cordula Beck – die vom Publikum gemeinsam zu den Siegerinnen gekürt wurden. Heute genießen wir den Sommer unter freiem Himmel.
Doch der nächste Winter kommt bestimmt, und die Türen der Obdachlosen-Betreuung werden auch dann wieder öffnen – wie werden wir dann mit den Menschen umgehen, die unter freiem Himmel schlafen müssen?